Was ein Pfarrer im Alltag so alles erlebt

Kölnische Rundschau vom 05.06.2019 Seite 28 / RBO-CITY

Von Dieter Brockschnieder

Bonn. Kommt ein Pfarrer ins Krankenhaus. Auf dem OP-Tisch fragt ihn der Arzt, wahrscheinlich wegen des Doktortitels vor dem Namen, ob er ein Kollege sei. „Nein, ich bin Pfarrer.“ – „Dann kann ja nichts schiefgehen“, lacht der Arzt, „wenn Sie Anwalt gewesen wären, hätte mich das unter Druck gesetzt“.

Georg Schwikarthat derlei Anekdoten für sein Buch „Leben. 100 %“ aufgeschrieben. Es trägt den Untertitel „Notizen eines Pfarrers am Stadtrand“ – und das ist er ja auch im Hauptberuf: Seelsorger auf dem Brüser Berg in Bonn-Hardtberg, studierter Theologe, Religionswissenschaftler, Volkskundler und Buchautor.

Zusammengetragen hat Schwikart, 1964 in Düsseldorf geboren, verheiratet, zwei Kinder, nicht nur solche Geschichten wie die im Krankenhaus, sondern auch viele Alltagsbegegnungen, Gebete und Aphorismen, die allesamt zeigen, wie bunt das Leben ist. Und der Pfarrer ist dabei sehr diskret geblieben; niemand muss fürchten, dass sein Name genannt wird. Der Autor wollte als überzeugter Katholik eigentlich Diakon in Sankt Augustin-Hangelar werden. Doch kurz vor dem feierlichen Akt im Jahr 2010 setzte der damalige Kölner Erzbischof Joachim Kardinal Meisner die Weihe aus, weil der Kandidat im tiefsten Innern angeblich nicht katholisch sei. Schwikartkonvertierte 2011 zum evangelischen Glauben, seit 2016 ist er Pfarrer der Rheinischen Landeskirche.

„In meinem Beruf habe ich immer wieder mit seltsamen Menschen zu tun. Es sind Menschen wie du und ich“, notiert er. Er hat sie alle kennengelernt, die Kranken und Verzweifelten, die Trostsuchenden, die Fröhlichen und diejenigen, die um die Gnade Gottes bitten. Manchen, so erfährt der Leser, kann der Pfarrer helfen, durch Zuhören oder einem guten Wort, bei anderen kann er nur ein Stoßgebet zum Himmel sprechen. Das liest sich etwa so: „Und als sich nach dem Suizid des jungen Menschen auch noch sein Vater das Leben nehmen wollte – da bleibt doch nur der Seufzer: ,Es ist genug, Herr‘.“

Ab und zu scheint in den Texten durch, dass der Autor die Konfession gewechselt hat. Etwa in dieser Geschichte von einer Theologiestudentin, die früher katholisch war. Ob sie Heimweh habe, fragt er sie. Sie erzählt von den Weihnachtsmessen mit den vielen Ministranten, an die ein evangelischer Gottesdienst nicht ranreiche. Aber: „Bei den Protestanten darf der Mensch Mensch sein“, deswegen sei sie konvertiert. Schwikart: „Gott sei Dank gibt es auch Katholiken, die Mensch sind und wissen: Sie dürfen es!“

Denn für ihn gilt: Glaube ist existenziell, er kann nicht diktiert werden, „sondern ist eine unmittelbare Erfahrung. Dafür braucht es mündige Menschen“. Das lehrt uns dieses Buch.

Dieter Brockschnieder

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